GKV-FinStG verabschiedet: Schwarzer Tag für die Prävention
Der Deutsche Bundestag hat den von Bundesminister für Gesundheit Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) mit nur marginalen Änderungen verabschiedet. Ein schwarzer Tag für die zahnmedizinische Prävention. Denn die Ampel-Koalition leitet damit das Aus für die neue Parodontitis-Therapie ein.
21. Oktober 2022
Beruf & Politik
Text: VH
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben sich gestern abschließend mit der Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) befasst. Einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum GKV-FinStG hat das Parlament gegen das Votum der Oppositionsfraktionen in der vom Gesundheitsausschuss geänderten Fassung angenommen.
Wiedereinführung der strikten Budgetierung
Damit wird das Wachstum des Ausgabenvolumens für die Gesamtheit zahnärztlicher Leistungen ohne Zahnersatz auf höchstens die um 0,75 Prozentpunkte verminderte Grundlohnrate im Jahr 2023 sowie auf höchstens die um 1,5 Prozentpunkte verminderte Grundlohnrate in 2024 begrenzt. Gleiches gilt für die Punktwerte in 2023 und 2024. Ausnahmen bilden die Leistungen zur Individualprophylaxe und zur Früherkennung, die Leistungen im Rahmen der aufsuchenden Versorgung, Leistungen im Rahmen von Kooperationsverträgen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und Zahnärzten sowie Leistungen der Parodontitisbehandlung bei Versicherten mit Behinderung oder Pflegebedarf. „Mit dieser strikten Budgetierung für 2023 und 2024 werden der Versorgung die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie wieder entzogen“, kritisiert Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes des Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). In zahlreichen Gesprächen und in der Expertenanhörung im Bundestag hatte die KZBV klar dargelegt, dass die strikte Budgetierung das faktische Aus für die wichtige Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis bedeutet. So wichtig die Versorgung vulnerabler Gruppen sei, eine Ausnahmeregelung für die Parodontitis-Therapie hätte alle GKV-Versicherten einschließen müssen, so Eßer. „Das, was uns die Ampel hier präsentiert, ist nichts anderes als ein politisches Feigenblatt und ein Frontalangriff auf die präventive Patientenversorgung“, betont der KZBV-Vorsitzende.
Auswirkungen sollen evaluiert werden
Die Änderungen im Bundestagsverfahren sehen ferner eine Evaluierung der Auswirkungen der Budgetierung auf die Parodontitis-Versorgung im September 2023 vor. „Trial and error auf dem Rücken der Patienten ist der falsche Weg. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Sein Versprechen zu halten, eine Parodontitis-Behandlung für alle zu ermöglichen und dann zu evaluieren – das wäre verantwortungsvoll“, kritisiert Eßer.
Eßer weist in diesem Zusammenhang auch auf die gravierenden Folgen einer Parodontitis für die Mund- und Allgemeingesundheit hin: „Parodontitis steht im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes und stellt zugleich ein Risiko für Schwangere, demenziell erkrankte Patienten sowie für schwere Verläufe bei Infektionen mit dem Coronavirus dar. Mit diesem Gesetz verschließt die Ampel wissentlich die Augen vor den gesundheitlichen Folgen für unsere Patienten und wirft gleichzeitig die von ihr gepredigten Prinzipien von Nachhaltigkeit und Prävention in der Gesundheitsversorgung vollständig über Bord. Das ist schlichtweg absurd und verantwortungslos.“
Zum verabschiedeten GKV-FinStG erklärt Dr. Jörg-Peter Husemann, stv. Vorstandsvorsitzender der KZV Berlin und zuständig für den Bereich Vertragswesen:
Nicht umsonst wird das GKV-FinStG auch GKV-Finstergesetz genannt. Mit diesem Gesetz hat Karl Lauterbach die gerade erst eingeführte neue PAR-Richtlinie und die damit verbundenen BEMA-Änderungen ad absurdum geführt. Was uns allen dabei nicht erspart bleibt, ist die Tatsache, dass unter den Bedingungen der Budgetierung auch für die neuen PAR-Leistungen die Anwendung des praxisindividuellen Honorarverteilungsmaßstabes für das kommende Jahr 2023 und voraussichtlich auch für 2024 unumgänglich sein wird. Das wird zu Einbehalten führen, von denen wir erst im Folgejahr – also 2024 bzw. 2025 – wissen, in welcher Höhe und ob überhaupt wir sie zurückzahlen können. Angesichts der ohnehin schon schwierigen Situation in unseren Praxen (Inflation, horrende Energiekosten etc.) ist das eine weitere Hiobsbotschaft.
Jetzt zügig strukturelle Reformen angehen
Auch aus Sicht der Beitragszahler ist das Gesetz enttäuschend. Sie müssen jetzt tiefer in die Taschen greifen, um die anstehenden höheren GKV-Beiträge zu finanzieren, und dies in einer wirtschaftlich hoch angespannten Gesamtsituation. Zum Paket gehört auch ein höherer Zusatzbeitrag. Bisher liegt der durchschnittliche Satz, den das Ministerium jährlich zur Orientierung festlegt, bei 1,3 Prozent. Für 2023 sei eine Anhebung um 0,3 Punkte „derzeit nicht unrealistisch“, hieß es. Die konkrete Höhe des Zusatzbeitrags für ihre Versicherten legen die Kassen aber selbst fest; sie können vom Schnitt abweichen. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.
Eine nachhaltige Lösung der GKV-Finanzprobleme über 2023 hinaus wird mit dem Gesetz zudem nicht erreicht. Krankenkassen begrüßen daher, dass mit dem GKV-FinStG ein Auftrag an das Bundesministerium für Gesundheit verbunden ist, bis Ende Mai 2023 Empfehlungen auszuarbeiten, wie die GKV finanziell stabilisiert werden kann. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf die Ausgabenseite gelegt werden. „Wir nehmen die Bundesregierung beim Wort. Strukturelle Reformen der ambulant-stationären Versorgungsstrukturen sind überfällig“, erklärt Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek). Effizienzreserven in der Versorgung müssten gehoben und die Qualität der Versorgung verbessert werden. Die Digitalisierung bietet ein großes Potential. Hier gilt es, die Stolpersteine gemeinschaftlich aus dem Weg zu räumen, so Elsner.
Reformen auf der Einnahmenseite
nicht außer Acht lassen
Aber auch die Einnahmenseite darf nicht außen vor bleiben. Hier steht die kostendeckende Finanzierung der ALG-II- Empfänger nach wie vor auf der Agenda, wie auch die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent. Außerdem fordern die Ersatzkassen eine Dynamisierung des Steuerzuschusses zur Kompensation versicherungsfremder Leistungen der GKV.
Weiteres Verfahren
Nach dem jetzt erfolgten Abschluss der Beratungen im Bundestag steht noch der 2. Beratungsdurchgang im Bundesrat aus, wobei es sich beim GKV-FinStG um ein sog. „Einspruchsgesetz“ handelt, das nicht der Zustimmung der Länder bedarf. Im Anschluss wird das Gesetz vom Bundespräsidenten gezeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet. Das Gesetz soll im Wesentlichen am Folgetag (im November) in Kraft treten.
- Finanzreserven: Vorhandene Finanzreserven der Krankenkassen werden mit einem kassenübergreifenden Solidarausgleich zur Stabilisierung der Beitragssätze herangezogen. Zudem wird die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds halbiert und übersteigende Mittel können für höhere Zuweisungen an die Krankenkassen genutzt werden, um die Finanzierungslücke weiter zu schließen.
- Bundeszuschuss: Der bestehende Bundeszuschuss zur GKV wird von 14,5 Mrd. Euro für 2023 um 2 Mrd. Euro erhöht.
- Darlehen Bund: Der Bund gewährt der GKV ein unverzinsliches Darlehen für 2023 von 1 Mrd. Euro an den Gesundheitsfonds.
- Herstellerabschlag: Für das Jahr 2023 ist ein um 5 Prozentpunkte erhöhter Herstellerabschlag insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel vorgesehen.
- Reform AMNOG: Strukturelle Änderungen der Preisbildung von neuen Arzneimitteln, die keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen haben, sowie ergänzende Maßnahmen zur Dämpfung des Ausgabenanstiegs bei patentgeschützten Arzneimitteln.
- Apothekenabschlag: Der Apothekenabschlag wird von 1,77 Euro auf 2 Euro je Arzneimittelpackung (auf zwei Jahre befristet) erhöht.
- Preismoratorium: Das Preismoratorium bei Arzneimitteln wird bis Ende 2026 verlängert, ergänzt um eine Ausstiegs-Regelung für bekannte Arzneimittel mit neuem Anwendungsgebiet.
- Pflegebudget: Ab 2025 werden im Pflegebudget nur noch die Kosten für qualifizierte Pflegekräfte berücksichtigt, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt sind.
- Neupatientenregel: Die extrabudgetäre Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen gegenüber sogenannten „Neupatienten“ für Vertragsärzte wird abgeschafft. Dafür werden Vergütungsanreize für schnellere ärztliche Behandlungstermine eingeführt.
- Zahnarzthonorare: Begrenzung des Honorarzuwachses für Zahnärzte. Gleichzeitig: Ausnahmen für Leistungen im Rahmen der aufsuchenden Versorgung oder von Kooperationsverträgen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und Zahnärzten sowie bei Parodontitisbehandlung bei Versicherten mit Behinderung oder Pflegebedarf.
- Zusatzbeitrag: Auch der Zusatzbeitrag für die Beitragszahler wird steigen. Auf Grundlage der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises im Herbst wird das Bundesministerium für Gesundheit den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in der GKV festlegen. Eine Anhebung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte ist derzeit nicht unrealistisch.