Im Gespräch mit dem KZV-Vorstand
Am 23. Januar 2023 wählte die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Berlin in ihrer konstituierenden Sitzung den Vorstand der KZV Berlin für die Amtsperiode von 2023 bis 2028. Wir sprachen mit Karsten Geist, Dr. Andreas Hessberger und Dr. Jana Lo Scalzo über Selbstverständnis, Aufgaben und künftige Projekte der (vertrags-)zahnärztlichen Vertretung.
20. Februar 2023
Beruf & Politik
Am 23. Januar 2023 wählte die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Berlin in ihrer konstituierenden Sitzung den Vorstand der KZV Berlin für die Amtsperiode von 2023 bis 2028. Mit großer Mehrheit ist Karsten Geist zum Vorsitzenden gewählt worden; Geist war bereits seit 2011 Vorstandsmitglied der KZV Berlin und in der vergangenen Amtsperiode stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes. Zu seinen gleichberechtigten Stellvertretern haben die Vertreter Dr. Andreas Hessberger und Dr. Jana Lo Scalzo gewählt.
Wir sprachen mit dem neuen Vorstand über Selbstverständnis, Aufgaben und künftige Projekte der (vertrags-)zahnärztlichen Vertretung.
Gratulation an den gesamten Vorstand zum Wahlerfolg, insbesondere Ihnen, Herrn Geist, zum Vorstandsvorsitzenden. Was darf die Berliner Zahnärzteschaft erwarten?
Karsten Geist: Zunächst vielen Dank, in unser aller Namen für das Vertrauen, das uns die Vertreter ausgesprochen haben. Wir werden uns mit aller Kraft in den Dienst der Berliner Zahnärzteschaft stellen. Ihre Interessen und Bedürfnisse im Praxisalltag sind der Maßstab unserer Arbeit. Gerade jetzt, wo unser Amtsantritt in eine Zeit fällt, die für die Zahnärzteschaft von großen Herausforderungen geprägt ist: Steigende finanzielle Belastungen bei gleichzeitiger Wiedereinführung der Budgetierung, unsichere wirtschaftliche Perspektiven, Personalmangel und eine ungebrochene Belastung durch Bürokratie – all das macht deutlich, dass uns schwierige Zeiten bevorstehen. Umso wichtiger ist es, dass wir als Berufsstand geschlossen für unsere Interessen kämpfen.
Schwierige Zeiten? Und das, nachdem die vergangenen Jahre bereits durch die Covid-19-Pandemie stark gezeichnet waren. Müssen wir also jetzt mit einer Kette von Krisen rechnen?
Dr. Jana Lo Scalzo: Da die Covid-19-Pandemie wirtschaftlich noch nicht ganz überstanden ist, jedoch schon die nächste Herausforderung vor der Tür steht, sieht es ganz danach aus. Derzeit spüren die Zahnarztpraxen sowohl durch die Inflation als auch infolge steigender Energie- und Materialkosten weitere erhebliche Belastungen. Das heißt, dass in diesem Jahr niedergelassene Zahnärzte die Kostensteigerungen und ihre betriebswirtschaftlichen Zahlen stärker im Blick haben sollten. Und angesichts der Inflation müssen die Praxisinhaber zudem mit überdurchschnittlichen Personalkostensteigerungen kalkulieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Praxen bereits beim staatlichen Corona-Bonus von der Bundesregierung im Regen stehen gelassen wurden. Nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels muss die Vertragszahnärzteschaft entsprechend reagieren, um ihr Personal zu halten. Auf die Corona-Krise folgt nun die Kosten-Krise – gepaart mit Fachkräftemangel.
Dr. Andreas Hessberger: Zusätzlich führen die immer weiter zunehmenden Regularien in den letzten Jahren zu einer doppelten Belastung der Praxen mit Bürokratiepflichten. Ich sehe meine Aufgabe hier auch darin, diese Anforderungen für die Praxen leichter handhabbar zu machen. Denn je mehr uns das gelingt, desto mehr Zeit bleibt in den Praxen für die Behandlung der Patienten.
Und in diese Misere reiht sich nun noch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Was bedeutet das (zusätzlich) für die Berliner Zahnarztpraxen?
Hessberger: Tatsache ist, dass das Gesetz – wie zuvor von Kollege Geist kurz angesprochen – die strikte Deckelung der Leistungsmenge sowie eine Kürzung der Honorare mit sich bringt. Welche Auswirkungen dieses Kostendämpfungsgesetz genau hat, werden wir frühestens ab Mitte dieses Jahres wissen. Wir werden es aber leider nicht verhindern können, den praxisindividuellen Honorarverteilungsmaßstab anzuwenden.
Geist: Massiv ärgerlich ist es vor allem, dass der Bereich der Parodontologie betroffen sein wird. Wir können nur hoffen, dass die erst im Juli 2021 als Meilenstein gefeierte und im GKV-Leistungskatalog ergänzte neue PAR-Behandlungsstrecke damit jetzt nicht faktisch vor dem Aus steht. Wichtig ist mir zu betonen, dass ich mit meinen vorherigen Vorstandskollegen dem Treiben von Minister Lauterbach in keinem Fall untätig zugeschaut habe. Bis zum Schluss kämpften wir darum, dass zumindest die Leistungen der neuen PAR-Behandlungsstrecke von der Budgetierung ausgenommen werden. Hierfür haben wir uns an die politischen Kanäle auf Landesebene gewandt. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung führte intensive Gespräche mit Lauterbach selbst. Doch letztlich sind nur die PAR-Behandlungen der vulnerablen Gruppen (Menschen mit Behinderungen) und die PAR-Leistungen für Patienten mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe aus dem Budget genommen worden. Zwar ein kleiner Erfolg, für die Behandlung aller anderen Patienten wird es aber wahrscheinlich gekürzte Honorare geben. Letztlich bedeutet das jedoch, dass – wie zuvor von Kollegin Lo Scalzo gesagt – anders als in den letzten Jahren sich der Vertragszahnarzt wieder regelmäßig mit seinen Abrechnungszahlen wird beschäftigen müssen.
Und werden die Patienten Nachteile haben?
Lo Scalzo: Nein. Patienten mit akutem Behandlungsbedarf werden selbstverständlich versorgt; und vor allem bleibt die gesamte PAR-Behandlungsstrecke eine GKV-Leistung. Die Kollegin bzw. der Kollege darf also nicht in „alte Zeiten“ verfallen und zum Beispiel die unterstützende PAR-Therapie, also die UPT, jetzt als Privatleistung berechnen.
Bei all diesen Negativ-Nachrichten: Haben Sie eine klare Forderung an die Politik?
Geist: Reduktion der bürokratischen Hürden, Förderung des Nachwuchses durch Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt eine faire Vergütung der erbrachten zahnärztlichen Leistungen. Letzteres ist Voraussetzung, dass niedergelassene Zahnärzte ihr Fachpersonal fair und adäquat entlohnen und somit steigende Patientenzahlen durch ausreichendes Fachpersonal bewältigen können. Der Rückschritt bei der PAR-Therapie und eine völlig veraltete Gebührenordnung für Zahnärzte bilden nicht mehr den zahnmedizinischen, fachlichen sowie zeitlichen Rahmen ab. Änderungen auf politischer Ebene sind daher unverzichtbar.
Lo Scalzo: Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt und wir können stolz sein, Teil davon zu sein. Damit dies so bleibt, ist es jetzt unabdingbar, eine Verschlechterung der Versorgung zu vermeiden, die droht, wenn mit dem Praxispersonal und der Zahnärzteschaft weiter so verfahren wird.
Apropos Versorgung: Wie steht es um die zahnärztliche Versorgung in Berlin?
Hessberger: Berlin ist laut Bedarfsplan immer noch überversorgt – aber mit sinkender Tendenz. Die Anzahl zugelassener Zahnärzte ist in den letzten zehn Jahren rückläufig. Zwar steigt im Gegenzug die Anzahl angestellter Zahnärzte, ihre Anzahl kann den Verlust an Vertragszahnärzten aber offenbar nicht mehr kompensieren. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung wächst, sodass die Zahnarztdichte sinkt. Und geht man davon aus, dass das Rentenalter eines Zahnarztes zwischen 60 und 70 Jahren liegt, so lässt die Altersstruktur der Berliner Zahnärzteschaft erkennen, dass rund 30 Prozent der heute tätigen Vertragszahnärzte in Berlin in den nächsten zehn Jahren ihre Tätigkeit aufgeben werden. Innerhalb der nächsten 20 Jahre werden dies sogar fast 70 Prozent sein.
Was bedeutet das?
Hessberger: Die heute über 50-jährigen Vertragszahnärzte sind überproportional in einer klassischen Einzelpraxis tätig. Bei diesen oft kleineren Praxen treffen die zunehmenden regulatorischen Anforderungen auf ein dafür personell weniger breit aufgestelltes Team. Wir möchten auch diese kleineren Praxen als Teil der wohnortnahen Versorgung erhalten. Von der Zukunftsfähigkeit auch dieser Praxen hängt ab, ob die heute 30-39-jährigen angestellten Zahnärzte diese als Option für eine (spätere) Niederlassung in Betracht ziehen. Dennoch bleibt das Problem, dass die Zahl der in Berlin tätigen Zahnärzte an sich tendenziell rückläufig ist. Auch wenn wir in Berlin wohl kaum ein Versorgungsproblem wie in ländlichen Gebieten bekommen werden, so dürfen wir dieses Thema dennoch nicht aufschieben oder gar aus dem Blick verlieren. Wir müssen uns jetzt überlegen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die zahnärztliche Versorgung in der Hauptstadt langfristig zu sichern.
In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage, welche Rolle von Investoren geführte zahnmedizinische Versorgungszentren, sog. i-MVZ, spielen. Wie beurteilen Sie die Lage in Berlin?
Geist: Lange hat die Politik mit teils fragwürdigen Gesetzen viel zu vage Regeln zur Beteiligung der freien Wirtschaft am Gesundheitswesen festgelegt und Investoren nach und nach Tür und Tor geöffnet. So ist 2019 das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft getreten, das zwar eine gestaffelte Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für zahnärztliche MVZ (Z-MVZ) vorsieht, die entsprechende Vorgabe des Gesetzgebers sich jedoch nach dem Versorgungsgrad des jeweiligen Planungsbereiches richtet. Da Berlin ein einheitlicher und – wie zuvor erwähnt – überversorgter Planungsbereich ist, liegt hiernach der maximale Versorgungsanteil eines Krankenhauses für Z-MVZ bei fünf Prozent. Mit Blick auf die Bedarfspläne kann festgehalten werden, dass in Berlin diese Grenze derzeit noch keine Auswirkung hat. Trotzdem müssen die Spielregeln für Investoren unbedingt verschärft werden. Daher begrüßen wir natürlich den offensichtlichen Richtungswechsel des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Die ungebremste Ausbreitung des i-MVZ ist eine Bedrohung für eine funktionierende, hochqualitative zahnärztliche Versorgung – auch letztlich in Berlin. Es ist nicht weiter hinnehmbar, dass diese Strukturen u. a. Qualitätsverlust durch Umsatzdruck und daraus resultierende Überbehandlung verursachen.
Welche weiteren Themen stehen auf der Agenda für die nächsten sechs Kalenderjahre?
Hessberger: Neben dem Honorarverteilungsmaßstab wird mein Fokus auf das Gutachterwesen gerichtet sein. Berlin nimmt in der Gutachtenstatistik eine bedenkliche Sonderrolle ein. Hier in der Stadt werden im Bereich des Zahnersatzes mehr als die Hälfte aller Planungen der Kollegen komplett verworfen. Dieser Wert liegt beim Vielfachen des Bundesdurchschnittes und weit über jeder anderen KZV. Man sollte sich bei dieser Frage auch vor Augen halten, was eine solche gutachterliche Feststellung für das Verhältnis zwischen Patient und Behandler bedeuten kann. Ich werde mir genau ansehen, wo die Ursachen liegen, und – falls erforderlich – entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Lo Scalzo: Ein Dauerbrenner bleibt sicherlich die Digitalisierung. Infolge des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes kommt die TI-Pauschale. Das bedeutet, dass die (Zahn-)Arztpraxen künftig bei größeren Neuanschaffungen in Vorleistung gehen müssen. Wie hoch die Pauschale ausfällt, die ab dem 1. Juli 2023 ausgezahlt wird, verhandeln KZBV und GKV-Spitzenverband erst einmal für zwei Jahre. Und damit wird die von der KZBV geplante Änderung der Finanzierung konterkariert und die Vertragszahnärzteschaft abermals benachteiligt. Hinzu kommt: Einigen sich die Vertragspartner nicht, kann das BMG die Vertragsinhalte festlegen. Das ist ein unnötiger Eingriff des Gesetzgebers in die Belange der Selbstverwaltung. Doch es gibt auch Lichtblicke: Das elektronische Beantragungs- und Genehmigungsverfahren – Zahnärzte (EBZ) macht das Leben für die Zahnarztpraxen und ihre Patienten leichter. (Fast) kein Papier mehr auf dem Weg vom Behandlungsplan zur Genehmigung. Digitalisierung bringt also nicht nur zusätzlichen Aufwand in die Praxen.
Und mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz hat der Gesetzgeber der Standespolitik noch eine weitere Regelung auferlegt: die Frauenquote für Vorstände von K(Z)Ven und der K(Z)BV. Wie stehen Sie zur Frauenquote?
Lo Scalzo: Früher dachte ich, dass eine gesetzliche Regelung für eine Frauenquote unnötig sei und sich die vielen talentierten und klugen Frauen mit der Zeit durchsetzen werden. Es hat sich aber in vielen Bereichen gezeigt, dass ohne diese Regelung Frauen eben doch nicht in gewisse Strukturen so einfach „reingelassen“ werden. Falls jemand der Ansicht ist, ich sei jetzt die „Quoten-Frau“, werde ich ihm schon bald das Gegenteil beweisen. Die Vertreterversammlung hat mich in den Vorstand gewählt, weil sie von mir und meinen Leistungen insgesamt überzeugt ist und mich für dieses Amt als geeignet und qualifiziert hält. Gleiches liegt der Wahl meiner beiden Vorstandskollegen zugrunde. Mittlerweile liegt in Berlin der Frauenanteil an der Gesamt-Zahnärzteschaft bei knapp über 50 Prozent. Die Zahnmedizin ist also längst keine Männer-Domäne mehr. Eine Frau im KZV-Vorstand ist doch daher nur konsequent. Damit aber nicht genug: Die Erhöhung des Frauenanteils in den Gremien der vertragszahnärztlichen Selbstverwaltung muss fortan von uns aktiv aufgegriffen, positiv begleitet und als zentrale Aufgabe und strategisches Ziel wahrgenommen werden. Viele Studien haben aufgezeigt, dass diverse Gremien – damit ist Diversität in Geschlecht, Alter, Herkunft und Erfahrung gemeint – bessere Resultate erzielen. Wir müssen mit den Frauen, die sich in der Selbstverwaltung engagieren wollen, unbedingt ins Gespräch kommen und Hürden abbauen. Für die Zukunft der Selbstverwaltung ist es entscheidend, den gesamten Berufsstand sowohl im Vorstand als auch in den Gremien abzubilden.
Vor welchen weiteren Aufgaben und Herausforderungen sehen Sie den Berufsstand?
Geist: Wie schon gesagt, stehen wir mittelfristig gesehen vor der Aufgabe, die zahnärztliche Versorgung auf hohem Niveau zu halten. Hierfür müssen wir unsere Ansprüche klar formulieren und unsere Freiheiten und Werte verteidigen. Gerade jetzt, wo die Honorare für vertragszahnärztliche Leistungen wieder gedeckelt sind und längst nicht mehr Schritt halten mit den Investitionskosten in den Praxen und den Kostensteigerungen durch immer neue gesetzliche und bürokratische Vorgaben. Wir brauchen aber angemessene Honorare, damit wir zum einen eine qualitativ hochwertige, flächendeckende Behandlung unserer Patienten gewährleisten können, zum anderen junge Zahnärzte für die Niederlassung gewinnen.
Lo Scalzo: Insofern müssen es unsere Ziele sein, sowohl mehr Frauen für die standespolitische Arbeit zu gewinnen, als auch den Nachwuchs zu fördern. Es ist ein Gesamtkonzept, das wir aufgreifen und positiv begleiten müssen. Beides müssen wir als eine unserer zentralen Aufgaben sehen, auch in Bezug auf die Erhaltung der Selbstverwaltung.
Was war und ist Ihre Motivation, sich standespolitisch zu engagieren?
Lo Scalzo: Selbstverwaltung ist ein Privileg, das wir nicht preisgeben dürfen. Motivation für mich ist immer, dass unsere Selbstverwaltungskompetenzen nicht von allein uns erhalten bleiben. Wir müssen aus dem Berufsstand heraus aktiv werden.
Hessberger: Auf den Punkt gebracht: Ich war unzufrieden mit der Arbeit des KZV-Vorstandes. Entscheidungen einfach hinzunehmen, kam für mich nicht infrage. Das aber funktioniert nur mit dem entsprechenden standespolitischen Engagement. Daher setzte ich mich bereits zuvor über viele Jahre in verschiedenen Ausschüssen und in der Vertreterversammlung der KZV Berlin sowie Delegiertenversammlung der Zahnärztekammer Berlin für die Belange der Kollegenschaft ein.
Geist: Selbstverwaltung bedeutet Selbstorganisation, aber vor allem Mitgestalten und Mitbestimmen. Nur wir wissen, wie Zahnmedizin in der Praxis funktioniert. Und somit dürfen Entscheidungen, die unsere Praxistätigkeit unmittelbar betreffen, nicht über unsere Köpfe hinweg, sondern müssen von und mit uns getroffen werden. Leider gelingt dies nicht immer. Aber das Feld gänzlich anderen zu überlassen und auf Selbstverwaltung zu verzichten, hieße Staatsmedizin, Fremdbestimmung und Entscheidungen am grünen Tisch – mit verheerenden Auswirkungen auf die Praxis. Schon heute laufen wir viel zu sehr am Gängelband der Politik. Immer neue Gesetze, Richtlinien und Verordnungen zwängen uns in ein Korsett aus organisatorischen und ökonomischen Vorgaben zulasten der Freiberuflichkeit.
Damit meinen Sie aktuell die Eingriffe des Gesetzgebers durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG)?
Geist: Richtig. Die mit dem GVWG geschaffene Pflicht, die Entschädigungsordnung für Organmitglieder in die Satzung der KZBV zu integrieren, und den daraus resultierenden Genehmigungsvorbehalt durch das BMG stellt eine zunehmende Einschränkung und Aushöhlung der Selbstverwaltungsautonomie dar, die wir aufs Schärfste missbilligen. Das BMG missachtet dabei den Grundsatz der maßvollen Ausübung einer Rechtsaufsicht. Schon mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz von 2017 hat der Gesetzgeber massiv in die Kernkompetenzen der Selbstverwaltung eingegriffen. Das darf nicht zur Gewohnheit werden.
Die Beteiligung an der Wahl zur Vertreterversammlung im vergangenen Jahr war mit rund 30 Prozent nicht nur erschreckend gering, sondern ist im Vergleich zu 2016 nochmals um 10 Prozentpunkte gesunken. Was sagen Sie dazu?
Hessberger: Auch wenn es meinem Verband sehr gut gelungen ist, seine Wähler zu mobilisieren, so muss uns eine Wahlbeteiligung von etwa 30 Prozent in höchste Alarmbereitschaft versetzen. Denn nur eine hohe Wahlbeteiligung ist Ausdruck einer breiten Unterstützung durch unsere Mitglieder – sowohl für uns als Vorstand als auch für die Selbstverwaltung allgemein. Grundsätzlich müssen wir hier dringend gegensteuern. Es muss uns gelingen, unsere Mitglieder davon zu überzeugen, ihr Wahlrecht künftig in Anspruch zu nehmen. Schließlich ist es ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie, der nicht leichtfertig ungenutzt bleiben sollte. Zusätzlich zur Nachwuchsgewinnung und Frauenförderung wird eine weitere zentrale Aufgabe für uns sein, die Standespolitik wieder ins Gedächtnis der Zahnärzteschaft zu rufen.
Geist: Die Wahl zur Vertreterversammlung ist für alle Wahlberechtigten die Möglichkeit, entweder sich selbst standespolitisch zu engagieren oder ihren berufspolitischen Anliegen in der zahnärztlichen Selbstverwaltung Gewicht zu verleihen. Aber offenbar wächst nach wie vor das Interesse mit der Dringlichkeit der Probleme – und Standespolitik ist wohl nicht das dringlichste Problem von Zahnärzten. Für sie stehen andere Aufgaben im Vordergrund, die gelöst werden wollen.
Aber was ist die Lösung?
Lo Scalzo: Einen Großteil der Wählerschaft stellen künftig (jüngere) angestellte Zahnärzte, vor allem Zahnärztinnen. Gerade ihnen müssen wir nahebringen, dass die KZV Berlin nicht nur für Vertragszahnärzte da ist. Unser Serviceangebot muss sich auch an angestellte Zahnärzte richten, denn auch sie sind Mitglieder der KZV Berlin und somit Teil der Selbstverwaltung. Zugleich dürfen wir aber nicht die (älteren) Vertragszahnärzte, die bisher noch vermutlich die Hauptwählergruppe verkörpern, aus den Augen verlieren. Insofern muss es uns jetzt gelingen, allen gerecht zu werden: dem Nachwuchs und der älteren Generation, deren Erfahrungsschatz für uns wertvoll bleibt. Hier dürfen wir keine Zeit mehr verstreichen lassen.
Hessberger: Fakt ist, dass ein Großteil unserer Mitglieder sich hier nicht wiederfindet. Und genau das gilt es zu ändern. Um Sprachrohr für alle zu sein, dürfen wir den Dialog nicht abreißen lassen und müssen unsere Mitglieder überzeugen, sich für eine gemeinsame Sache zu interessieren und einzusetzen. Etablierte Konzepte werden wir dahingehend erweitern und neue entwickeln. Denn nur eine gelebte Selbstverwaltung hat letztlich Bestandskraft.
Geist: Spekulationen helfen uns hier nicht weiter. Wir müssen es schaffen, die KZV Berlin als Partner der Zahnärzteschaft zu stärken und weiterzuentwickeln. Nur so kann es uns gelingen, dass der Stellenwert von Selbstverwaltung und somit auch jener der KZV Berlin bei der Kollegenschaft in der Rangordnung wieder einen der vorderen Plätze einnimmt. Hierfür müssen wir unsere Ansprache gegenüber unseren Mitgliedern deutlich verbessern.
Interview: Vanessa Hönighaus